Das Amtsgericht Bitterfeld hatte im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens über den Verbleib eines minderjährigen Kindes zu entscheiden. Gegenstand war die Herausnahme eines Kindes aus dem Haushalt der Pflegeeltern durch das Jugendamt wegen vermeintlich kindeswohlgefährdender Zustände in diesem Haushalt. Das Kind wurde zunächst in einem Heim untergebracht und die Pflegeeltern suchten Hilfe und Unterstützung bei unserer Kanzlei.
Beim Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen wurden sodann Hauptsache- und einstweiliges Anordnungsverfahren anhängig gemacht, die jeweils eine Verbleibensanordnung gemäß §1632 Abs. 4 BGB in der Gestalt einer Rückführungsanordnung des Kindes zum Gegenstand hatten. Mit sehr ausführlich begründetem und sorgfältig abgewogenem Beschluss vom 12.03.2020 hat das Amtsgericht die Rückführung des betroffenen Kindes in den Haushalt der Pflegeeltern angeordnet.
Eine Verbleibensanordnung kommt nach dieser Vorschrift dann in Betracht, wenn ein Kind seit längerer Zeit in Familienpflege lebt und die leiblichen Eltern (oder ein Dritter bzw. das Jugendamt) das Kind wegnehmen möchten. Ist das Kind bereits aus dem Haushalt der Pflegefamilie herausgenommen, kann alsbald nach der Herausnahme die Verbleibensanordnung in der Gestalt einer Rückführungsanordnung beantragt und erlassen werden.
Das Gericht hat unter sorgfältiger Darstellung der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Verbleibensanordnungen ausgeführt, dass zunächst das gesetzliche Erfordernis, dass das Kind "seit längerer Zeit" in Familienpflege lebt, ohne weiteres dadurch erfüllt sei, dass dieses seit dem Jahr 2011 im Haushalt der antragstellenden Pflegeeltern lebt und der Antrag auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Herausnahme aus dem Haushalt gestellt worden ist.
Sodann hat das Amtsgericht die rechtlichen Grundlagen und die verfassungsrechtlichen Belange der einzelnen Beteiligten bei der Herausnahme eines Kindes aus der Familienpflege gegeneinander abgewogen und betrachtet:
"Voraussetzung für die Verbleibensanordnung ist, dass durch die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie das Wohl des Kindes gefährdet würde (vgl, MünchKomm-Huber, BGB, 7. Aufl. 2017, § 1632, Rdnr. 44). Zu prüfen ist daher lediglich, ob bei seiner Trennung von der Pflegeperson eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes zu erwarten ist (vgl. BVerfG, FamRZ 2010, 865, 865; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31. Mai 2012-6 UF 20/12 -, BeckRS 2014, 03229, jew. m. w. N.)."
Unberücksichtigt bleiben mussten die Rechte der leiblichen Eltern, weil es vorliegend nicht um eine Rückführung des Kindes zu diesen leiblichen Eltern, sondern um eine reine Trennung des Kindes von den Pflegeeltern und Begründung einer anderen Pflegeform, nämlich der Heimerziehung anstelle der Familienpflege ging:
"Der Prüfmaßstab ist deshalb ein anderer als bei einem Herausgabeverlangen der Eltern. Mit Blick auf das betroffene Kindeswohl ist zu differenzieren, ob das Kind von der Pflegefamilie in den Haushalt seiner Eltern - beziehungsweise ihnen grundrechtlich gleichgestellter Personen - oder in eine andere Pflegestelle wechseln soll (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987 -1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - II- 10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Danach bestimmt sich das Maß der Unsicherheit über mögliche Beeinträchtigungen des Kindes, das unter Berücksichtigung seiner Grundrechtsposition hinnehmbar ist (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987-1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 11-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Die Risikogrenze ist generell weiter zu ziehen, wenn die leiblichen Eltern oder ein Elternteil wieder selbst die Pflege des Kindes übernehmen wollen (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987-1 BvR 332/86 -, BVerfGE 75, 201-223, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 11-10 UF 189/15 -, zitiert nach juris). Eine andere Ausgangslage ist aber dann gegeben, wenn das Kind nicht in den Haushalt von Vater und Mutter aufgenommen werden soll, sondern lediglich seine Unterbringung in eine neue Pflegestelle bezweckt wird, ohne dass dafür wichtige, das Wohl des Kindes betreffende Gründe sprechen (BVerfG, Beschluss vom 14. April 1987-1 BvR 332/86)"
Schlussendlich musste und hat das Amtsgericht berücksichtigt, dass gerade das Kindeswohl es gebiete, die Bindungen des Kindes zu seinen Pflegeeltern, die es im vorliegenden Fall als seine Eltern angesehen hat, vorrangig zu berücksichtigen und zu prüfen, ob und welche Auswirkungen die Trennung für das Kind erzeugen würde:
"Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 68, 176 <187 ff.>; 72, 122 <140>; 75, 201 <217 ff.>; 79, 51 <64>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 -1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31)."
Zudem müsse dem Kind als Grundrechtsträger selbst hinreichend Beachtung geschenkt werden.
"Zu solcher Berücksichtigung des Kindes als Träger eigener Grundrechte gehört, dass der vom Kind aufgrund seines persönlichen Empfindens und seiner eigenen Meinung geäußerte Wille als Ausübung seines Rechts auf Selbstbestimmung bei der gerichtlichen Entscheidung hinreichende Berücksichtigung findet (vgl. BVerfG, a. a. O. ; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31, MaL2012, 6 UF 20/.12 - BeckRS 2014, 03229 BeckOK Bamberger/Roth/Hau/Poseck-Veit-BGB..§1632 Rdnr- 61. m. w. N. )."
Insoweit hatte sich bei der Anhörung des Kindes durch die Verfahrensbeiständin als auch durch das Gericht ergeben, dass dessen beachtlicher Wille eindeutig davon geprägt war, dass es wieder zu Mama und Papa nach Hause wollte. Das Gericht konnte anhand des hiesigen Vortrages, der durch die weiteren Ermittlungen der Verfahrensbeiständin bestätigt worden ist, auch gesichert davon ausgehen, dass die ursprünglich vom Jugendamt gerügten Umstände sämtlichst abgestellt worden waren, der Haushalt einen kindgerechten und ordentlichen Eindruck machte, so dass das Amtsgericht die Rückführung des Kindes anordnete.
Das beteiligte Jugendamt hatte zwar zunächst gegen den Beschluss Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt, allerdings wurde das Verfahren sodann für erledigt erklärt, weil das Kind im Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht seit erheblicher Zeit wieder im Haushalt der Pflegeeltern lebte.
Hier zeigt sich, dass in Fällen der Herausnahme von Kindern aus einer Pflegefamilie schnelles Handeln gefragt ist. Die gerichtlichen Anträge zu Verbleibensanordnungen dulden trotz aller sorgfältiger Begründung und umfassender Sachverhaltsschilderung keinen Aufschub, insbesondere, um nicht vollendete Tatsachen mit der Herausnahme aus dem Haushalt zu schaffen. Rügt das Jugendamt Umstände, die eine Gefährdung der Kindeswohls nahelegen, ist ferner zügiges Handeln gefragt, diese Umstände im Sinne und zum Wohle des Kindes abzustellen.
Sollten Sie im Rahmen von möglichen Auseinandersetzungen um den Verbleib oder die Herausnahme von Kindern aus Ihrem Haushalt anwaltliche Beratung und Vertretung benötigen, steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Matthias Natho -Fachanwalt für Familienrecht- hierfür gern zur Verfügung. Rufen Sie uns unter unser kostenfreier Rufnummer 0800/40 12 500 an! Wir beraten Sie gern!